Spricht die Malerei Rüdiger Schölls vom Raum des künstlich Opaken und seiner Überwindung des Konkreten, so erzählen die Materialbilder Marietta Hoferers ebenfalls von einer Dimension, die in ihrer materiellen Konstruktion nicht angelegt ist. Durch die Überlagerung von Klebestreifen, zumeist in quadratischem Zuschnitt, entstehen ornamentale Muster und Strukturen, denen ebenfalls das Prinzip der Differenz und Wiederholung eingeschrieben ist. Wo Rüdiger Schöll mit Farbe verdichtet, entstehen in den Materialbildern Marietta Hoferers luzide Strukturen, die in ihrer Transparenz sich an der Grenze des Unsichtbaren entlang bewegen und das Materialbewußtsein zugunsten des Imaginären zurückdrängen. Auf der einen Seite zeichnet die Künstlerin mit dem Konkreten eines trivialen Alltagsmaterials und lässt ornamentale Strukturen sich akzentuieren, auf der anderen Seite zeichnet sie mit dem Zufall und Unberechenbaren der Lichtverhältnisse im Ausstellungsraum, in dem die reflektierende Oberfläche der Klebestreifen das jeweils vorhandene Licht wiederspiegeln und die Oberfläche zum Glänzen und Flirren bringen. Nicht mit künstlichen Lichtquellen im Zeitalter der Elektrizität wird hier gezeichnet, sondern mit dem Phänomen der Reflexion. Und der Begriff der Reflexion beinhaltet jenes Janusgesicht von physikalischer Wiederspiegelung und Auflösung des Sichtbaren im Konzeptuellen und Denkerischen. Dem entspricht die ornamentale Struktur, die Ordnung, Rhythmus und System zu schaffen sucht, wo ansonsten das Unberechenbare herrscht, wie jener Einfluss des Lichtes, der sich nur bedingt kontrollieren und steuern lässt. Das Ornament ist Ausdruck der Sicherheit von manueller Beherrschung und meditativer Versenkung, mit dem Differenz und Wiederholung zur Illusion des Perfektionismus gerinnt. Je komplexer Gesellschaften sich organisieren, desto mehr neigen sie zur Verführung durch die Oberfläche des Ornaments, die Einordnung und Systematisierung vereinfacht. In diesem Sinne ist das Materialbewußtsein Marietta Hoferers Ausdruck der Komplexität der Oberfläche. Der Sicherheit des klar Strukturierten, das zum Ornament gerinnt, setzt die Künstlerin jenen Schein und Glanz entgegen, der zwar in dieser Struktur einer Bildoberfläche enthalten ist, aber nicht von ihr erzeugt wird. Als sei eine zweite künstlerische Persönlichkeit am Werk erzeugt die reflektierende Oberfläche der ornamental geordneten Klebestreifen den Schein einer anderen Welt, die jenseits der materiellen Sichtbarkeit zu liegen scheint. Damit wiederholt Marietta Hoferer jenes Grundprinzip einer Beherrschbarkeit der dinglichen Welt, die bereits in Platons Höhlengleichnis zu skeptischer Auflösung gerinnt: Wir sehen nur die Schatten von den Dingen, und ohne Licht würden wir nicht einmal diese wahrnehmen. Dergestalt blicken auch die Bilderfindungen Marietta Hoferers hinter die Verlässlichkeit des Dinglichen und Abbildbaren. Das Ornament ist bereits Symbol von Welt und nicht dessen Wiederschein – und es ist die Reflexion des Lichts, die schließlich diese Welt des gegenständlichen Materials eines zweckorientierten Bandes zur Verklebung des Dinglichen zur Auflösung bringt. Was wir in der Reflexion sehen ist der Schein eines Anderen, das jenseits der materiellen Orientierung des Gegenständlichen und Dinglichen liegt.
Bernd Kuenzig, Kurator
Auszug der Rede zur Ausstellungseroeffnung von Hoferer/Kiwus/Schoell im Kuenstlerkreis Ortenau, Galerie im Artforum, Offenburg, Februar 2007
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